Pressemeldung der Landeshauptstadt Hannover
- 12.03.2020
Wiedereröffnung des KUBUS mit einer Gruppenausstellung zum Thema eines transkulturell aufgefassten Kulturbegriffs
„Nichts gehört nur einer einzigen Kultur an.“ So lautet ein Zitat der Heidelberger Globalisierungsforscherin Monica Juneja. Ihr Lehrstuhl in Heidelberg analysiert die Auswirkungen des eurozentrischen Blicks und der nationalstaatlich orientierten Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts und arbeitet an einer von diesen Vereinfachungen befreiten neuen Kunstgeschichtsbetrachtung. Im Kern steht die Erkenntnis, dass Kulturen immer „transkulturell“ konstituiert sind. Und das ist auch das Thema der Ausstellung „Das Eigene im Anderen – Das Andere im Eigenen - Rolf Bier, Matthew Cowan, Christian Dootz, Inka Nowoitnick” vom 14. März bis zum 26. April in der Städtischen Galerie KUBUS.
Darin untersuchen die beteiligten Künstler*innen, wie auf vermeintlich „andere“ Kulturen geschaut wird, was diesen Blick prägt, und wie man sich Dinge – bewusst oder unbewusst – aneignet. Vorgestellt werden vier künstlerische Positionen, die in unterschiedlicher Weise mit Inhalten, Motiven und Bildauffassungen vermeintlich „anderer“ Kulturen arbeiten und dabei mitunter das vermeintlich „Eigene“ als etwas „Anderes“ auffassen und umgekehrt das „Andere“ als etwas „Eigenes“ entdecken.
Inka Nowoitnick stellt die Frage: Wie weit ist der Weg vom christlich geprägten Tafelbild zum Ornament? Wo sind Übergänge? So transformiert sie das Ritual der christlichen Kerzenspende zu einer zeitgenössischen „Wunschmaschine“, die in Einkaufszentren, Bibliotheken oder Museen steht, und nun auch im KUBUS. In einer „Heimlichen Übernahme“ eignet sich die Künstlerin die Idee der Wunscherfüllung an und macht daraus ein soziologisches Experiment. Zu beobachten ist zum Beispiel, dass Menschen nicht nur die elektrischen Kerzen via Knopfdruck zum Leuchten bringen, sondern dass sie mitunter auch Gegenstände als Gaben dalassen, die wiederum von anderen mitgenommen oder getauscht werden.
Auch den in den Sonnenuntergang reitenden „Lonesome Cowboy“ – Inbegriff des unabhängigen, weißen, amerikanischen, männlichen Entdeckergeistes – eignet sich Inka Nowoitnick an und setzt sich selbst an seine Stelle. Die Inszenierung gleicht einem christlichen Tafelbild. Nach einer jahrelangen intensiven Auseinandersetzung mit dem Modell des christlichen Tafelbilds wie unter anderem die Serie der „Anbetungen“ zeigt, befasst Inka Nowoitnick sich – inspiriert durch längere Aufenthalte in Kairo – nun seit einiger Zeit mit dem Ornament. In ihren neuen Arbeiten werden ihre selbst geschöpften Ikonen nochmals gewendet, indem die Motive in immer gleichen Wiederholungen zum Ornament werden.
Rolf Bier erforscht in seinen Installationen und Intervention die skulpturalen Qualitäten und Möglichkeiten alltäglicher Materialien. So formen Holzreste, die eine dem Produktionsprozess geschuldete, ornamentale Wiederholung mitbringen, den Grundriss eines „Riad“ nach, einer Haus- und Hofform die typischerweise im muslimisch geprägten Norden Afrikas zu finden ist. Eine blaugraue, rhythmische Wandmalerei erinnert an Wolken oder Wellen und bildet zugleich einen Fries für den Raum. Bei Rolf Bier ist jede Setzung immer auch eine Reflektion über das Medium selbst und über die Frage von Wirklichkeit und Bildwirklichkeit.
Der Posterstapel, dessen Blätter die Worte „Ceci n`est pas l`Afrique“ tragen, rekurriert auf den generellen Zweifel an der Möglichkeit von Abbildung und geht zurück auf eben jenen Zweifel in der berühmten Arbeit „Der Verrat der Bilder“ von René Magritte, die eine Pfeife mit dem Text „Ceci ne pas une pipe“ zeigt. Je nachdem aus welcher ethnischen, gesellschaftlichen oder individuellen Perspektive heraus der Satz „Ceci n`est pas l`Afrique“ gesprochen wird, und wo er gezeigt wird, hat er eine vollkommen unterschiedliche Bedeutung. Innerhalb des thematischen Kontextes der Ausstellung spielt er darauf an, dass das Bild von Afrika nicht deckungsgleich mit der Wirklichkeit ist. Afrika ist vor allem eine Konstruktion im Kopf, ein Klischee, das die vielfältigen Nationen, Sprachen und kulturellen Qualitäten dieses großen Kontinents nicht ansatzweise fassen kann. Etwas das als etwas „Anderes“ wahrgenommen wird, und das doch durch die Geschichte des Kolonialismus vielfach und vor allem in Form von Gewaltausübung eng mit der „eigenen“ Kultur interagiert hat und auch heute interagiert.
Die zu einem Stillleben arrangierten Objekte der Arbeit „Silk Road Remains and other Stories“ besteht aus diversen Gegenständen aus dem Haus von Lore Bier (1926 - 2019), die alle Länder der Seidenstraße systematisch bereist und von dort die unterschiedlichsten Dinge mitgebracht hat: Vielerlei Stoffe, Souvenirs und Kunsthandwerk, deren Herkunft sich kaum zuordnen lässt. Das Sammeln von Dingen auf Reisen ist eine der Ursprungshandlungen zur Aneignung von Welt und vermeintlich „anderer“ Kulturen. Auch die ethnographischen Sammlungen großer Museen, die eng mit der problematischen Geschichte des Kolonialismus verbunden sind, gehen auf diese Idee zurück.
Für Matthew Cowan ist die Erforschung von Ritualen und Bräuchen „anderer“ Kulturen zentraler Bestandteil seines Werks. Ob Peitschenknaller in Rumänien, das Spiel auf traditionelle Birkenrinden-Instrumenten in Finnland, mythologische Figuren wie Butterdiebe, Narren, behaarte Wesen und andere Wilde Männer und Frauen, im Karneval oder zu anderen Ritualen und Umzügen – Matthew Cowan untersucht kulturelle Äußerungen, Rituale und Traditionen überall auf der Welt mit den Strategien der künstlerischen Aneignung, Transformation und Fälschung und erfindet eigene performativ einsetzbare Objekte. Diese stellt er häufig historischen Objekten gegenüber, die er vor Ort findet - in diesem Fall im Historischen Museum Hannover.
Ebenso fand sich im Archiv des Museums ein Foto, offenbar aus dem Karneval – eine Momentaufnahme, die alle Rollen- und Schamgrenzen überschreitet und durchaus furchteinflößend illustriert, dass der Karneval seinen Sinn eben gerade im Überschreiten von Grenzen hat.
Innerhalb der Ausstellung bildet das Bild gemeinsam mit dem Vorhang einen Art Bühnenraum aus, hinter dem das Publikum Wilde Männer treffen darf, von denen einige auch eine Art „anderes ich“ des Künstlers darstellen. Insbesondere der „Photographer (Wildman)“ und der „Sound Operator (Wildman)“ sind so etwas wie Selbstporträts. Sie illustrieren, dass sich auch das Beobachten und Festhalten von Ritualen zu einer gewissen Manie entwickeln kann.
Das eigene wilde „andere ich“ entdeckt, haben auch zwölf Kolleg*innen aus dem Kulturbüro und eine Kollegin aus dem Historischen Museum. Im Beginenturm entstand: „The Sound of the Cultural Office“, Hanover“.
Kairo ist eine Stadt, deren Öffentlichkeit vielfach von Überwachungskameras und privaten Sicherheitsdiensten kontrolliert wird. Christian Dootz, der dort seit einigen Jahren als Dozent für Fotografie unterrichtet, hat sich die Stadt daher nachts im Schutz der Dunkelheit von einem sicheren Standort auf einer Dachterrasse mit der Kamera angeeignet. Er zeigt an überraschenden Beispielen, wie sich urbane Szenerien als Konglomerate von westlichen und östlichen Auffassungen präsentieren. Moderne Hochhausfassaden, ornamentale Gestaltungen und eine allgegenwärtige Licht-Werbung erzählen von kultureller Identität und zugleich von einer immer größer werdenden Austauschbarkeit urbaner Passagen und Architekturen.
Christian Dootz' präzise formulierten, meist menschenleeren Details der nächtlichen Skyline enthalten zugleich das Moment der Intimität, blicken in Fenster, Hinterhöfe und auf die für Kairo so typischen Dachterrassen. Die Bilder sind Bestandteil einer riesigen Panoramaaufnahme, die quasi das ganze nächtliche Kairo in vielen zusammengesetzten Einzelaufnahmen erfasst. Durch den Verzicht auf den Einsatz von Weitwinkelobjektiven erhalten die einzelnen Ausschnitte eine große Direktheit. Wie aus vielen kleinen und großen Fenstern blicken die Betrachter*innen auf viele kleine, private und halbprivate Szenerien, die ihnen sehr nahekommen.
Die Ausstellung wurde kuratiert von Inka Nowoitnick und Anne Prenzler.
Zur Fluchttreppe:
Mit dem notwendigen, zweiten baulichen Fluchtweg kann die Städtische Galerie KUBUS jetzt wieder mit ihrem Ausstellungsprogramm durchstarten. Der neue Fluchtweg ist so lange im Einsatz (voraussichtlich bis zu drei Jahre) bis der endgültige Fluchtweg realisiert ist. Die Errichtung eines neuen, zweiten Fluchtwegs war nötig geworden, weil mit der Schließung des Durchgangs zur ehemaligen VHS der bisherige zweite Fluchtweg aus dem KUBUS weggefallen ist, so dass sich die Stadtverwaltung Ende März 2019 entschieden hatte, den Ausstellungs- und Veranstaltungsbetrieb so lange einzustellen.
Für die Fluchttreppe zeichnen die Architekten TW.ARCHITEKTEN TÖBBEN & WOSCHEK verantwortlich. Für die Realisation haben sie kostengünstige, industriell vorgefertigte Bauteilen verwendet. Dem künstlerischen Anspruch des KUBIS entsprechend hat das Architekturbüro die robuste Konstruktion mit einer feingliedrigen, transluzenten Hülle überformt.
Die Daten:
Ausstellungseröffnung
13. März, 19 Uhr, Begrüßung Konstanze Beckedorf, Einführung Anne Prenzler
Finissage
26. April, 16 Uhr, Vortrag und Künstler*innengespräch mit Prof. Monica Juneja
SonnTALK – Einladung zum Gespräch über die Kunst, jeweils sonntags 14 Uhr
KUBUS ART LAB: Kunstvermittlung im KUBUS, kubus.artlab@posteo.de
Öffnungszeiten tädtische Galerie KUBUS Di – So, 11 – 18 Uhr